An(ge)dacht

Aus dem Nichts ins Alles
Eine Mutmachgeschichte zur Konfirmation

(Lukas 2,41-52)


Predigt

Pfarrkonferenz des Kirchenkreises Minden
zum "Kirchlichen Unterricht"

Mittwoch, 08. Mai 2002
Martin-Luther-Haus zu Bierde

Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes.

Markus 10,13-16 (Luther84 NR)

Dass uns dies gelinge: die Kindern auf ihrem Weg in ein gotterfülltes Leben behutsam zu begleiten, darum sei jetzt, liebe Freundinnen und Freunde in Christo, die Gnade Gottes mit uns - und der Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt ...

nach Offenbarung 1.4


Amen.

Anfang

Wort
Licht
Hoffnung
Vertrauen

warten
wachsen
werdend
sein

mich spüren
und den nächsten Schritt wagen
mich riskieren
aus dem Nichts ins Alles

Andrea Schwarz

... schreibt die Theologin und Schriftstellerin Andrea Schwarz.

Wachsen, werden, sein, Schritte wagen, sich selbst ins Spiel bringen ... Kirche hält dafür ein Mutmachfest im Leben junger Menschen bereit. Darum nämlich feiern wir Konfirmation, um uns darin bestärken zu lassen, dass Gottes Liebe uns beflügelt zu einem guten und gelingenden Leben ... Und eine Mutmachgeschichte für all jene, die ganz bewusst und entschieden mit Jugendlichen Konfirmation feiern wollen, die habe ich bei Lukas im zweiten Kapitel gefunden. Dort nämlich wird uns nahegebracht, was sich zugetragen haben soll, als Jesus im eigentlichen Sinne schon nicht mehr Kind war - aber auch noch längst nicht erwachsen ...


Baby

Lukas erzählt:

Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. 42 Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes. 43 Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem und seine Eltern wussten's nicht. 44 Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. 45 Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn. 46 Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. 47 Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten. 48 Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. 49 Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? 50 Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte. 51 Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. 52 Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

Lukas 2,41-52 (Luther84 NR)

Obwohl doch schon so alt, liebe Geschwister im Herrn, trägt diese kleine Erzählung soviel auch von unserer Lebenswirklichkeit in sich, dass wir darüber ganz und gar ins Staunen kommen müssten. Wenn wir uns denn darauf einlassen, unsere eigene Wahrnehmung in das Geschehen mit einzubeziehen ...

Zunächst einmal: dass der Lukas hier erzählt, Jesus sei zwölf Jahre alt gewesen, das ist mehr als eine biographische Randnotiz. Mit zwölf Jahren nämlich galten Mädchen und Jungen im alten Israel als so gut wie erwachsen - bzw. auf dem besten Wege, es in Kürze zu sein. Erwartet wurde etwa, dass der Vater seinem Sohn bis zu jenem Alter die Bedeutung der Gebote so wirkungsvoll nahegebracht habe, dass dieser sie von nun an eigenverantwortlich zu leben weiß. Auch sollten bis zu diesem Zeitpunkt Güte und Milde die vorherrschenden Prinzipien in der Erziehung sein. Danach aber, so wurde gedacht, wäre es an der Zeit, mehr Gewicht auf die Ernsthaftigkeit in der Lebensführung zu legen ... Spätestens mit dem 13. Lebensjahr dann galten Mädchen und Jungen als geschlechtsreif - und damit auch fähig zur Ehe.
Dass aber grade dieses Alter alles andere als einfach ist für das Erleben einer jungen Seele, auch davon weiß die Bibel. - Habt ihr noch, liebe Freundinnen und Freunde, jene Geschichte in Erinnerung, die erzählt von der Auferweckung der Tochter des Synagogenvorstehers Jairus? Zwölf Jahre alt ist dieses Mädchen, deren Name im Verborgenen bleibt und die nur - wie vielsagend doch - als "Tochter des Jairus" bezeichnet wird. Als ob ihr ein eigenständiges Leben versagt bliebe - und damit auch die Möglichkeit, zu sich selbst zu finden. Vollends in Beschlag genommen von den Konventionen und gesellschaftlichen Erwartungen, die sich wie ein Spinnennetz über das Leben eines derart prominenten Mannes legen, scheint das seiner Tochter schon zu enden, bevor es überhaupt so richtig beginnt ... Der erwachsene Jesus wird sie dann aber aus ihrem Dornröschenschlaf befreien, in den sie gefallen ist, weil ihr das Erwachsenwerden so unendlich schwer gemacht worden ist. "Talita kum", wird er zu ihr zurufen: "Mädchen, ich sage dir, steh auf!" (Markus 5,41 - Luther84 NR).
Spannend, dass es neben Markus ausgerechnet Lukas ist, der diese Geschichte für uns aufbewahrt hat. Mag er wohl darüber nachgedacht haben, was in dem Mann aus Nazareth vor sich ging, als dieser ein zwölfjähriges Mädchen auf ihren Weg ins Frauwerden zurückrief - wo er doch selbst in eben jenem Alter sich anschickte, eigene Schritte ins Leben zu wagen ...?

Denn dass der zwölfjährige Jesus im hektischen Jerusalem jener Tage seinen Eltern verloren geht, das hat nichts mit der Neugierde eines Kindes zu tun, das auf der Kirmes - fasziniert vom bunten Treiben - Mama und Papa aus dem Blick verliert, weil alles um es herum so aufregend und prickelnd ist. - Nein: Der Sohn von Maria und Josef löst sich vielmehr ganz bewusst von den Eltern.
Klar, dass diese ganz aufgelöst sind von der Sorge um den Sprössling. Ergeht uns doch oft nicht anders (trotz aller gutgemeinten Vorsätze). Irgendwann werden wir doch alle als Mutter oder Vater gewahr, dass die Kleinen von einst auch uns mehr und mehr verloren gehen, wir sie zumindest in einem immer stärkeren Maße loslassen müssen - wenn es an der Zeit dazu ist. Diesen Zeitpunkt dann aber auch als solchen wahrnehmen und annehmen zu können, das fällt uns - aus verständlichen Gründen - wirklich nicht immer leicht. Da sind uns dann Maria und Josef auf ihrer Suche nach dem Sohn nahe wie selten zuvor ...

Diese kleine Geschichte aus dem Lukasevangelium verschafft aber auch Mut, sich auf diesen Loslösungsprozess einzulassen. Denn der junge Mann aus Nazareth weiß sehr wohl, wo er Halt und Orientierung zu finden vermag - auf der Suche nach sich selbst.
Der Tempel, das Haus Gottes, wird ihm zum Anlaufpunkt. An diesem Ort erfährt er sich als Kind Gottes - und damit auch als zugehörig zum Geheimnis aller Welt. Geborgen und zuhause in der Liebe Gottes.
"Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte", schreibt der Lukas. - Dass Eltern, Familie und Freundeskreis junge Menschen auf ihrem Weg ins eigene Sein nicht immer verstehen, das mag bisweilen auch mal schmerzhaft oder enttäuschend sein - gehört aber wohl mit dazu, wenn's darum geht, auf gute Weise erwachsen zu werden ...

Ganz wichtig aber, und diese Erfahrung durfte der zwölfjährige Jesus ja machen, dass dann Menschen da sind, die nicht nur zuhören, sondern sich auch ein Loch in den Bauch fragen lassen - und obendrein auch unbequemen Fragen nicht ausweichen.
Und meine doch niemand, dass eine solche Beziehung ziemlich einseitig sei! Im Gespräch und in der Begegnung mit unseren Konfis, im gemeinsamen Reden und Schweigen, im gemeinsamen Beten und Singen, im gemeinsamen Lachen (und manchmal auch Weinen) erlebe ich mich selbst als beschenkt mit einer Fülle von wunderbaren Gedanken und Bildern voller Leuchtkraft, die zwölf-, dreizehn- und dann auch schon vierzehnjährige Menschenkinder mit mir teilen! Da geht's mir dann wie den Schriftgelehrten im Tempel: Ich wundere mich. Und merke doch auch, dass es ein Wundern ist, das viel Glück bei sich hat.

Ach, liebe Schwestern und Brüder, Geschwister im Herrn, nehmen wir doch die Begebenheit vom zwölfjährigen Jesus im Tempel als eine wirkliche und wahrhaftige Mutmachgeschichte! Insbesondere doch auch im Hinblick auf Konfirmation und ihr vorausgehend den Kirchlichen Unterricht. Wobei das Wörtchen "Unterricht" mir mehr und mehr unzutreffend erscheint für das eigentliche Anliegen, welches dahintersteht. Jedoch - und das gesteh ich gerne ein: Ein besseres Wort ist mir auch noch nicht eingefallen ...

Es ist und bleibt aber doch ein Glück sondergleichen, dass wir als Kirche - und dann auch als Gemeinde vor Ort - für wichtig und wert erachtet werden, jungen Menschenkindern gleichsam zu Engeln zu werden, die sie ein Stück weit ins Leben hinbegleiten dürfen - und das in einem wunderbar schwierig herrlich komplizierten Alter. Dass wir Mitarbeitende Gottes sein können, die Heranwachsende in dem bestärken, was ihnen einst in der Taufe schon zugesagt wurde: Gott liebt dich - und er braucht dich! Dass wir ihnen so Gewissheit verschaffen oder zumindest doch eine Ahnung davon, wie gelebter Glaube ein Zuhause bieten kann. Und dass wir sie darin ermutigen, sich selbst als Kinder Gottes zu glauben, damit sie zunehmen an Weisheit, Alter und Gnade. Denn - und das hat der Eugen Drewermann mal geschrieben: "Erwachsenwerden heißt vor Gott hintreten".


Freude

Mit der Konfirmation mag ja die Kindheit enden ... Umso wichtiger aber, dass junge Menschen gerade dann darin ermutigt werden, dass ihnen unter dem Segen Gottes auch weiterhin ihr Leben gelinge.
Weil vom Liebhaber des Lebens aufgerichtet, dass sie immer wieder den nächsten Schritt wagen, sich ins Spiel bringen und auch mal riskieren - aus dem Nichts ins Alles ...
Wenn uns das gelänge, dass wir da einander bestärken: die Gemeinde ihre Konfis und die Konfis uns - dann würde wohl die ganze Welt uns ein gutes Stück mehr zum Hause Gottes ...

Gut also, dass wir einander haben!

Habt auf euch acht, liebe Freundinnen und Freunde in Christo,
und seid aufs beste behütet mit der Liebe dessen, der gesagt hat:
"Wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf."
(Matthäus 18,5 - Luther84 NR)

Darum auch in seinem Namen:
Amen.


(Pfarrer Jürgen Giszas - Bierde, 07. Mai 2002)