An(ge)dacht
Liebe bewusst machen.
Vom Zauber der Zehn Gebote
(Matthäus 22,34-39)
Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten.
Matthäus 7,12
Unsere Jugend sollte an Gott glauben oder doch wenigstens an die 10 Gebote.
Helmut Schmidt
Ich denke mal, liebe Freundinnen und Freunde, das mit dem an Gott glauben, das täte allen Menschenkindern gut - den kleinen und den großen ...
Jedoch stimmt das Wort des Altkanzlers schon nachdenklich. Keine Frage: Gott ist uns ein Stück weit verloren gegangen. Aber - und das scheint mir das Verrückte (und zugleich das Hoffnungsvolle) an der ganzen Geschichte: Die Sehnsucht nach Gott, sie ich nicht nur geblieben, sondern treibt uns stärker um denn je. Wohl weil Menschen wie du und ich nach etwas suchen, was uns Halt und Orientierung gibt im Auf und Nieder der Lebensumstände. Und die Wogen treffen uns heute ungestümer als in früherer Zeit, weil diese unsere Zeit schnelllebiger und hektischer geworden ist.
Abhilfe verschaffen könnten uns da schon die Zehn Gebote, den Kindern Israels einst durch die Vermittlung des Mose von Gott an die Hand gegeben - und das ja auch in einem Moment, als vieles noch unklar war im Lebensgefühl eines ganzen Volkes, und der Einzelne, die Einzelne nach Weisung dürstete: Wie soll sich unser Miteinander zukünftig gestalten?
Heute müsste es dann vor allem darum gehen, die Zehn Gebote auf eine Weise annehmen zu können, die ihr heilsames Potential wieder in aller Klarheit zum Leuchten bringt.
Erhellendes dazu hält eine kleine Begebenheit bereit, die das Neue Testament uns von Jesus erzählt. Bei Matthäus steht sie so geschrieben:
A
ls aber die Pharisäer hörten, dass er den Sadduzäern das Maul gestopft hatte, versammelten sie sich. 35 Und einer von ihnen, ein Schriftgelehrter, versuchte ihn und fragte: 36 Meister, welches ist das höchste Gebot im Gesetz? 37 Jesus aber antwortete ihm: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« (5.Mose 6,5). 38 Dies ist das höchste und größte Gebot. 39 Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3.Mose 19,18). 40 In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.
Matthäus 22,34-39 (Luther84)
Diese kleine Geschichte liest sich wie ein Prolog, wie eine Ouvertüre zu einem viel größeren Drama, das sich - zunächst noch kaum wahrnehmbar - im Hintergrund abzeichnet: die Passionsgeschichte Jesu.
Die ersten Worte schon lassen erkennen, dass das Netz aus Lüge und Intrige sich mehr und mehr um den Mann aus Nazareth zusammenzieht. Die Kräfte haben sich formiert, und auch wenn mit den Sadduzäern die eine Partei der Gegner vorerst noch einmal in ihre Schranken verwiesen werden konnte, blasen die Pharisäer doch schon zur nächsten Attacke. Wie wird Jesus sich zum Gesetz äußern? Vielleicht ja auf eine Weise, die ihn endlich vor aller Augen und Ohren als falschen Propheten entlarven wird ...
In einem solchen Augenblick, wo die niederziehenden Kräfte so stark erscheinen - und Jesus weiß ja auch um sein nahendes Ende - , da muss es ihm doch eine Herzensangelegenheit gewesen sein, noch einmal unmissverständlich und in aller Klarheit auf den Punkt zu bringen, was Gott nach einzig und allein gutes und gelingendes Leben ermöglicht ...
Das aber ist: Gott lieben - und meinen Nächsten, meine Nächste wie mich selbst ...
Und so steht's doch auch schon geschrieben im Gesetz aus alter Zeit. Nicht etwa, dass es Jesu Bestreben gewesen wäre, dieses Gesetz von seinem eigenen Wirken an einfach abzuschaffen. - Im Gegenteil: "Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen", erklärt er mal an anderer Stelle (Matthäus 5,17).
Sein Anliegen besteht demnach darin, das Gesetz mit dem zu erfüllen, was sein eigentliches Wesen ausmacht: mit der Gottes- und der Menschenliebe. "Denn", so lesen wir es bei Johannes: "das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden" (Johannes 1,17).
Nun ist aber grade darum das "Du sollst lieben" nicht zu verstehen als eine moralische, gesetzliche oder wie auch sonst immer gedachte Anforderung. Denn Liebe lässt sich nicht verordnen - weder per Gesetz noch auf Rezept. Liebe ist doch vielmehr einem Zustand vergleichbar, in dem ich mich unverhofft und wie beschenkt vorfinde. Wichtig wäre halt nur, dass ich auch in der Liebe bleibe ... - Und so sagt der Jesus doch auch mal seinen Freunden: "Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!"
Darum ist das "Du sollst lieben" auch eher gemeint wie ein Hinweis auf etwas, das längst in uns angelegt ist. "Der Liebe Tun sollte uns selbstverständlich sein", schreibt Eugen Drewermann, "weil wir es 'instinktiv' als unsere Wahrheit spüren, und es sollte uns aus dem Herzen kommen ohne weitere Absicht, ohne weiteres Nachdenken, als etwas unmittelbar Gefühltes und unmittelbar Verwirklichtes."
Das deutsche Wort "Gebot" bewahrt noch eine Erinnerung an dieses Wissen auf. Es leitet sich ab von dem Begriff "bieten" - und der bedeutete ursprünglich so viel wie: etwas zu Bewusstsein bringen. Und so macht mir das Liebesgebot bewusst, dass ich zum Lieben gleichsam bestimmt bin. Zur Gottes- und zur Menschenliebe - denn das eine ist ohne das andere nicht denkbar ...
Nun hängt aber letztlich an dieser Erkenntnis, so Jesus, das ganze Gesetz - und mit ihm auch unsere komplizierten wunderbaren Zehn Gebote ... . Und im Lichte jener Liebe betrachtet sind auch letztlich sie nichts anderes als ein Freispruch zum Leben.
Also etwa nicht: Du wirst mit allen Mitteln gezwungen, den Sonntag zu heiligen. Sondern in dir ist die gute Fähigkeit längst angelegt, den Feiertag so zu nutzen, dass er dir in allen Belangen gut tut: Zeit für dich, Zeit für andere - und vor allem Zeit für Gott ... - Ist dir noch Jesu herrliches Wort über den Sabbat in Erinnerung: "Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen". (Markus 2,27)?
Das im Blick buchstabier dir die Gebote noch mal durch: Du bist so wunderbar gemacht, weil so voller Liebe, dass du gar nicht neidisch zu sein brauchst auf das, was andere ihr Eigen nennen. Es ihnen wegnehmen musst du schon gar nicht. Und auch nicht, ihnen Gewalt antun oder schlecht - weil unwahr - über sie reden. Sondern lass deinen Nächsten vielmehr alle Dinge zu ihrem Besten dienen ...
Denn - noch einmal Drewermann: "Einzig die Liebe ist imstande, die Erde mit dem Himmel zu verbinden, den Geist mit dem Körper, die Seele mit dem Fleisch, die 'Sinnlichkeit', wie man so sagt, mit der Sittlichkeit, die Wahrheit des Herzens mit der Weisheit des Geistes. Der Riß, der den Menschen seit den Tagen der Angst, seit dem Augenblick des Sündenfalls durchzieht, wird einzig geheilt durch die Macht der Liebe."
Diese Liebe zu leben, das wär's doch! - Wir müssen uns das halt nur immer wieder mal sagen lassen. - Aber: Dafür gibt's ja die Zehn Gebote ...
Gut, dass wir sie bei uns haben. Denn sie haben das Zeug, unsere Welt zu verändern - zum Guten hin ...
Darum nimm sie als Wegweisung und Mutmachworte mitten hinein in gutes und gelingendes Leben - und damit doch auch näher zu Gott ...
Und der behüte dich und die Deinen mit seinem wunderbaren Segen.
Mit lieben Grüßen aus dem Bierder Pfarramt
Jürgen Giszas